Europa wird die gute slowakische Literatur schon finden

Interview mit dem Übersetzer Mirko Kraetsch

Daniela Humajová: Zur Zeit gehörst du zu den gefragtesten Übersetzern aus dem Tschechischen sowie aus dem Slowakischen ins Deutsche. Wie bist du zu diesen Sprachen gekommen, wo hast du sie gelernt und warum hast du dich für die literarische Übersetzung entschieden?

Mirko Kraetsch: Ob ich in der deutschen Übersetzerszene tatsächlich zu den gefragten und anerkannten Protagonisten gehöre, wage ich nicht zu beurteilen. Ich finde eher, dass ich noch zu den „Anfängern“ gehöre, denn erst im Februar 2006 ist das erste komplett von mir ins Deutsche übersetzte Buch erschienen, nämlich Martin Fahrners Roman „Steiner aneb co jsme dělali“ (deutscher Titel: „Die Hand in der Luft“, Piper). Allerdings ist das Jahr 2006 für meine „Karriere“ wirklich einschneidend, denn nachdem im März der zweite von mir übersetzte Roman (von Michal Hvorecký) erschienen ist, steht schon das dritte Buch in den Startlöchern: „Hrdý Budžes“ von Irena Dousková wird im Herbst dieses Jahres in meiner Übersetzung im dtv erscheinen.

Meine erste überhaupt veröffentlichte Übersetzung ist bereits 1996 in einem Sammelband erschienen – übrigens eine Übersetzung aus dem Slowakischen, eine Studie des Literaturwissenschaftlers Peter Zajac zu einer Kurzgeschichte von Dušan Dušek. Mein Weg zu den beiden Sprachen ist eine Verkettung vieler Zufälle. Geplant war all dies nicht! – Geboren bin ich in Dresden. Dort konnte ich, statt nach der POS (Polytechnische Oberschule, 10-Klassen-Schule) noch zwei Jahre eine EOS (Erweiterte Oberschule) zu besuchen und dort Abitur zu machen, bereits nach der 8. Klasse auf eine sog. Spezialschule (mit spezieller fachlicher Ausrichtung) wechseln. Da ich mich schon immer für Sprachen interessiert habe, wählte ich die Schule mit neusprachlicher Spezialisierung. Als dritte Fremdsprache wollte ich (neben Russisch und Englisch) Französisch lernen, allerdings waren die Plätze in dieser Klasse (20 pro Jahr) sehr gefragt. Meine schulischen Leistungen waren zwar sehr gut, doch gab es Mängel bei der „gesellschaftlichen Arbeit“ zu verzeichnen, sprich: Ich zeigte nicht genug „politisches Engagement“ und Loyalität zum System. Deshalb wurde ich vor die Wahl gestellt, entweder als dritte Sprache Tschechisch zu wählen, oder nicht für diese Schule zugelassen zu werden. An diesem Punkt wurde eine entscheidende Weiche gestellt, ohne dass ich mir dessen bewusst war.

Ich hatte großes Glück mit meiner Tschechischlehrerin Renate Hums (die auch meine Klassenlehrerin war), denn sie hat nicht nur ihre große Liebe zur tschechischen Sprache und Kultur an uns weitergegeben, sondern sie war auch als Person bewundernswert. Nie wurden wir von ihr „indoktriniert“, nie kam sie mit abgedroschenen Phrasen. Sie war immer eine integere Person, und das war zu jener Zeit gewiss nicht die Regel. Das Jahr meines Abiturs (1989/90) fiel zusammen mit den großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Plötzlich standen so viele Türen offen … Ich beschloss etwas mit Sprachen zu studieren, wollte allerdings keine neue Sprache lernen. Russisch gefiel mir nicht, Englisch war ein Allerweltsstudium – und so blieb nur noch Tschechisch. Und wieder war es der Zufall, der mich nach Berlin an die Humboldt-Universität führte, wo ich Bohemistik als Hauptfach studieren konnte. (Normalerweise wird an deutschen Universitäten Bohemistik als Nebenfach in einem Slawistik-Studiengang angeboten, sodass mir ein Russisch-Studium nicht erspart geblieben wäre.) Das Studienjahr 1994/95 verbrachte ich in Prag, und dort kam ich auf die Idee, Texte, die wir in Sprachkursen lasen, einfach ins Deutsche zu übersetzen, um mich darüber mit meinen Freunden zu Hause austauschen zu können. Ich stellte dann ein paar der Übersetzungen in einer Art „Samizdat“ zusammen und schenkte es allen zu Weihnachten. – Das ist übrigens bis heute mein Ansatz und meine Motivation, wenn ich etwas übersetze: Ich möchte einfach meine Freude an einem schönen Text mit anderen Menschen teilen, indem ich ihn für sie, die ihn im Original nicht lesen können, ins Deutsche übertrage. Mein „Samizdat“ gelangte auch in die Hände der Slowakistin Dr. Ute Raßloff, einer meiner Dozentinnen in Berlin. Ihr gefiel meine Arbeit, und kurz danach bat sie mich, an einem Übersetzungsprojekt mitzuarbeiten, dem oben erwähnten Band mit Arbeiten von Peter Zajac. Dass es eine Übersetzung aus dem Slowakischen war, fand ich nur umso reizvoller, denn ich hatte während meines Bohemistik-Studiums bereits angefangen Slowakisch zu lernen, und auch in Prag war ich oft in Kontakt mit dieser Sprache gekommen (z. B. wenn ich mir slowakische Filme ansah). Zudem versuchte Dr. Raßloff, uns Bohemisten die Slowakei in allen Aspekten nahe zu bringen, etwa in Form einer mehrtägigen Exkursion nach Bratislava (samt Sprachkursen). Und schließlich war ich 1998 auf der Sommerschule SAS, wo ich fast nur slowakisch sprach und damit meine Sprachkenntnisse deutlich verbessern konnte. Darüber, dass das Übersetzen für mich nun wirklich zum Beruf geworden ist, bin ich sehr froh, denn es gibt wohl nichts Schöneres, als eine persönliche Leidenschaft auch beruflich ausleben zu können.

Daniela Humajová: Wofür ist, deiner Ansicht nach, die slowakische Literatur charakteristisch und kann sie im europäischen Kontext Interesse wecken?

Mirko Kraetsch: Ich muss gestehen, dass ich mich mit slowakischer Literatur im Allgemeinen nicht allzu gut auskenne. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren intensiv mit der tschechischen Gegenwartsliteratur, aber erst seit kürzerer Zeit spielt auch das slowakische literarische Geschehen eine – durchaus auch größer werdende – Rolle. Allerdings glaube ich nicht, dass man das Schaffen slowakischer Literaten auf einen Nenner bringen kann. Das Schöne auch an einer so „kleinen“ Literatur ist ja gerade die Vielfältigkeit. Und ob es etwas gibt, womit slowakische Literatur im europäischen Kontext bestechen könnte? Zum einen damit, dass sie originell ist, dass sie allgemeine Probleme (die oft von deutschen Verlagen geforderte „Welthaltigkeit“) auf ganz spezifisch slowakische Weise behandelt. Was das allerdings genau sein soll, kann ich auch nicht sagen … Es ist wohl eher ein Gefühl. Vor allem sollten sich aber die Autoren nicht genötigt fühlen, „für Europa“ zu schreiben! Dieses „Europa“ wird die gute slowakische Literatur schon finden …

Daniela Humajová: Welche slowakischen Autoren sind für dich interessant und was hast du bereits übersetzt?

Mirko Kraetsch: Mich interessiert immer das aktuelle Geschehen am meisten. Allerdings bin ich im Falle der slowakischen Literatur erst dabei, mir einen Überblick zu verschaffen. Und dabei hoffe ich natürlich auf tolle Entdeckungen! Zu den von mir ins Deutsche übersetzten slowakischen Autoren gehören – neben Michal Hvorecký – Dušan Dušek, Balla, Jozef Puškáš, Peter Pišťanek und Dušan Tarageľ sowie die Kinderbuchautoren Jozef Urban und Peter Karpinský. Allerdings habe ich mir diese Texte nicht selbst ausgesucht, sondern ich bin jeweils gebeten worden, sie zu übersetzen. Nur im Fall von Michal Hvorecký hat sich jetzt wirklich eine Art Team herausgebildet.

Daniela Humajová: Vor kurzem ist im Tropen-Verlag in Berlin das Buch von Michal Hvorecký „City: Der unwahrscheinlichste aller Orte“ in deiner Übersetzung erschienen. Wie war die Arbeit, und mit welchen stilistischen Problemen musstest du fertig werden?

Mirko Kraetsch: Die Entscheidung des Tropen Verlags, Michal Hvoreckýs Roman herauszubringen, fiel Mitte Oktober 2005 auf der Frankfurter Buchmesse, und Anfang März 2006 waren die ersten Exemplare gedruckt. Der Zeitrahmen war also sehr knapp bemessen und es war für mich nur zu schaffen, weil ich eben Michals Stil mittlerweile gut kenne und weil mir seine Art zu schreiben einfach liegt. Das Übersetzen ging mir dadurch flott von der Hand, zumal ich ständig mit dem Autor in Kontakt stand und er mir auch zuverlässig und schnell all meine Fragen beantwortete. Auch die Textredaktion mit dem Verlag, insbesondere mit Tom Kraushaar, war von einer ausgezeichneten Zusammenarbeit geprägt. Oft wird vergessen, dass am Text nicht nur Autor und Übersetzer einen Anteil haben, sondern auch der Lektor und die vielen anderen, die das Manuskript lesen und wertvolle Anmerkungen geben.

Daniela Humajová: Welche Gründe gab es, dass der slowakische Titel „Plyš“ geändert wurde und was sagte der Autor dazu?

Mirko Kraetsch: Der Hauptgrund für die Wahl eines neuen Titels lag darin, dass 2004 in Deutschland bereits der Roman „Plüsch“ von Michael Ebmeyer erschienen war. Wir haben also gemeinsam nach einem anderen Titel gesucht, und sind im Text auf den Claim jener Stadt City gestoßen, in der sich der Großteil der Handlung abspielt. Der Autor war sofort mit dem neuen Titel einverstanden.

Daniela Humajová: Wie wurde der Roman von den deutschen Lesern aufgenommen?

Mirko Kraetsch: Aktuelle Verkaufszahlen kenne ich leider nicht. Aber es fällt auf, dass das Buch – vor allem dank der guten Öffentlichkeitsarbeit des Tropen Verlags und der Lesereise von Michal Hvorecký in den letzten beiden Monaten – auf ein sehr großes Echo in den Medien stößt. Das ist enorm wichtig, wobei es nicht einfach nur darum geht, das Buch zu verkaufen, sondern die slowakische Literatur generell wird (an diesem einen Beispiel) ins öffentliche Bewusstsein gerückt, ihr wird Aufmerksamkeit zuteil. Nach einer Durststrecke für die slowakische Literatur auf dem deutschsprachigen Buchmarkt ist im Herbst 2005 im Arco-Verlag Dušan Šimkos Roman „Esterházys Lakai“ in deutscher Übersetzung erschienen und im Frühjahr 2006 Michal Hvoreckýs Buch – wenn das einen Trend andeuten sollte, wäre das natürlich höchst erfreulich!

Daniela Humajová: Was würde den slowakischen Autoren, bzw. ihren Werken helfen, damit sie sich im Ausland besser durchsetzen könnten? Wo siehst du offene Möglichkeiten für die Bekanntmachung slowakischer Literatur?

Mirko Kraetsch:Ach, in dieser Branche hängt doch so viel vom Zufall ab … Voraussetzung ist ein Netz von Menschen, die sich für die slowakische Literatur engagieren, zum einen auf slowakischer Seite (LIC, slowakische Institute), zum anderen auf deutscher Seite, hier speziell die Übersetzer und Übersetzerinnen (Männer sind die Ausnahme), die fast immer auch die Vermittlerrolle einnehmen: Sie sind auf der Suche nach literarischen Entdeckungen und versuchen dann, auch andere Leute (speziell in Verlagen oder auch bei Zeitschriften) dafür zu begeistern. Diese Netzwerke gibt es und sie funktionieren auch, obwohl vor allem das Überzeugen oft schwierig ist und lange dauern kann. Hilfreich dabei ist es auf jeden Fall, wenn Autoren im deutschsprachigen Raum präsentiert werden, ob nun bei Buchmessen – und hier eher in Leipzig, wo es ganz besonders um Texte und ihre Autoren geht, als in Frankfurt, wo eher mit Lizenzen gehandelt wird –, in slowakischen Instituten oder im Rahmen von Literaturfestivals und ähnlichen Veranstaltungen. Eine wichtige Chance für slowakische Literaten, sich in deutschsprachigen Ländern zu zeigen und umzusehen, sind unbedingt auch die zahlreichen Stipendienprogramme von Literaturhäusern oder Stiftungen, die ihnen kürzere oder längere Aufenthalte vor Ort und in der Regel auch Möglichkeiten zur Präsentation ihrer Werke bieten. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich in dieser oft als Dickicht empfundenen Vielzahl von Angeboten (mit ihren speziellen Auflagen und Anforderungen) umzusehen.